Nachhaltigkeit beim Investieren – Versuch einer möglichst objektiven Einordnung

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Ganz kurz vorweg noch etwas über mich:
Ich will sachlich, mit kühlem Kopf an der Börse langfristig Geld anlegen und meine Altersvorsorge sichern. Alles was ich denke, schreibe, tue dient diesem Ziel. Dies versuche ich zu erreichen, indem ich

  1. Zusammenhänge verstehe
  2. mögliche Konsequenzen durchdenke
  3. mein Anlageziel, meine persönliche Situation und meine Risikotoleranz in Einklang bringe.

Ich höre mir deshalb alle Argumente an. Ich lese die Crashpropheten genauso wie die Permabullen. Ich versuche ihre Argumente nachzuvollziehen und ins Gesamtbild einzufügen. Ich will die Extremszenarien kennen und auf jedes Szenario vorbereitet sein. Dafür ist ein solides Verständnis der Märkte und das kritische Hinterfragen von Zusammenhängen notwendig.

Wir leben in einer Gesellschaft voller Zielkonflikte und Widersprüche. Einerseits haben viele von uns den Drang, möglichst wenig auf Kosten der nachfolgenden Generationen zu leben, die Welt ein bisschen besser zu machen und sich für etwas Gutes einzusetzen. Andererseits ist unsere Wirtschaft nach wie vor auf ständig weiteres Wachstum, mehr Konsum und höhere Effizienz ausgelegt.

Wer in diesem System erfolgreich sein will und sich einen gewissen Wohlstand und Komfort erarbeiten möchte, muss sich an dieser Form der Wirtschaft beteiligen.

Die Nachhaltigkeit bei der Geldanlage, die Frage in welche Unternehmen man investiert und welche sozialen, ökologischen und politischen Richtlinien dabei gelten, wird deshalb oft und äußerst kontrovers diskutiert.

“Was ist von nachhaltigen Geldanlagen zu halten? Wie passen Rendite und Nachhaltigkeit zusammen? Und welchen Anteil habe ich eigentlich an den Geschäftspraktiken der Unternehmen, an denen ich beteiligt bin?”

Darum soll es in diesem Beitrag gehen.

Ein Definitionsdilemma

Das erste Problem, dass bei der Auseinandersetzung mit der Frage von nachhaltigen Investments aufkommt, ist die Definition des Begriffs „Nachhaltigkeit“.

„Als konsensfähig gilt die Interpretation von Nachhaltigkeit im Sinne der triple bottom line, welche die Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales umfasst. Gleichzeitig liegt dem Nachhaltigkeitsbegriff eine erweiterte Berücksichtigung der Zeitdimension zugrunde; bes. Fokus liegt dabei auf der Möglichkeit, durch heutige Handlungen zukünftige“
https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/nachhaltigkeit-41203/version-264573

Alles und jeder nutzt diesen Begriff so, wie es gerade passt. Während einige Menschen hiermit ausschließlich Umweltaspekte meinen, fassen andere den Begriff weiter und schließen auch ethische und soziale Aspekte mit ein.

Selbst wenn Einigikeit über die grundsätzliche Weite des Begriffs herrscht, so ist dennoch nicht eindeutlig klar, wo Nachhaltigkeit anfängt und endet. Die Definition von „Nachhaltigkeit“ ist bei jedem Fonds / ETF / Unternehmen / Anleger eine andere. Es ist deshalb nicht möglich, nachhaltiges Investieren überhaupt zu fassen.

Die persönlichen Vorstellungen von Moral und Nachhaltigkeit sind bei jedem Menschen unterschiedlich.

Und die Fondsmanager / Indexmacher müssen am Ende des Tages eine gewisse Performance aufweisen können. Deshalb werden auch bei allen sog. nachhaltigen Fonds / ETFs immer Unternehmen dabei sein, die sich mit den persönlichen Vorstellungen der Anleger nicht decken.

Unternehmen wie McDonald’s, Coca-Cola, Texas Instruments, Nestlé, Rheinmetall, Windkraftanlagen Produzenten, Wasserkraftwerkbetreibern, Pharmaunternehmen, Chemiekonzernen, Sportartikelhersteller tauchen in verschiedenen Fonds und Indizes auf, die dem Namen nach nachhaltig sind. Ob aber einzelne der genannten Unternehmen und Branchen nach der Definition des Anlegers als nachhaltig einzustufen sind, ist eine ganz andere Frage.

Der weltweit größte Fondverwalter „Blackrock“ hat vor wenigen Monaten öffentlichkeitswirksam Druck auf die Unternehmen aufgebaut, nachhaltiger zu werden. Das Unternehmen ist aber bis Dato bspw. enorm stark in Kohle und Öl investiert. Blackrock wird natürlich nicht alle Beteiligungen an diesen Unternehmen sofort oder zeitnah liquidieren. Die Realität zeigt also, dass nachhaltiges Investieren nicht trivial ist.

Es wird also offensichtlich auch sehr viel greenwashing betrieben. Nachhaltigkeit klingt gut. Fondsverwalter, Anleger und Wertpapieremmitenten sind deshalb anfällig dafür, ihre Produkte und Anlagestile als nachhaltig zu bezeichnen, obwohl die Prüfung im Einzelnen an vielen Stellen Zweifel wecken könnte, dass die Produkte wirklich auf das setzen, was bei der Mehrheit der Anleger als Nachhaltigkeit gelten würde.

Die mir bekannten konsequentesten Kriterien an Nachhaltigkeit hat die GLS Bank. Schaut euch mal an, welche Produkte die ihren Kunden anbieten. Also ich mich dort beraten lassen habe, waren es nur 2 Fonds, kein ETF und eine oder zwei Aktien. Mittlerweile befinden sich ein paar wenige weitere Produkte im Sortiment: https://www.gls.de/privatkunden/anlegen/ aber insgesamt zeigt dies, dass es nur sehr wenige Anlageprodukte gibt, die einer umfassenden Definition des des Nachhaltigkeitsbegriffs standhalten.

gehen (Über-)Rendite und Nachhaltigkeit zusammen?

Rendite bei nachhaltigen Investments

Das Problem mit der Überrendite, also dem Erreichen einer besseren Performance als ein Benchmark liegt darin, dass für das Erreichen einer Überrendite erst einmal ein Benchmark existieren muss. Um also besser zu performen als nicht nachhaltige Anlagen, ist das Vorhandensein nicht nachhaltiger Anlageformen notwendig. Das ist schon eine gewisse Doppelmoral.

Meine persönliche Meinung ist, dass Nachhaltigkeit durch gesellschaftlichen und politischen Druck erzwungen werden muss. Das nicht nachhaltige Handeln muss unwirtschaftlich werden. Dazu kann jede und jeder als Konsument/in beitragen. Wenn beim Kauf von Produkten und Dienstleistungen auf Nachhaltigkeit geachtet wird, werden die Unternehmen aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus ihren Fokus auf Nachhaltigkeit legen. Das fördert nachhaltige Innovationen und macht nachhaltige Produkte so immer wirtschaftlicher. Nicht nachhaltige Innovationen bleiben jedoch aus, weil diese nicht mehr wirtschaftlich sind.

Der Druck kann ebenso durch die Politik aufgebaut werden, indem nicht nachhaltiges Handeln teuer wird. Statt jedoch unwirtschaftliche nachhaltige Produkte zu subventionieren, müssten nicht nachhaltige Produkte durch Sonderabgaben teurer werden.

Subventionen verhindern Innovation. Denn die Unternehmen haben durch Subventionen keinen Anreiz, um in neue nachhaltige Prozesse zu investieren.

Unwirtschaftlichkeit wird duch Subventionen belohnt. Unnachhaltigkeit bleibt so wirtschaftlich.

Dies verhindert eine Überrendite von nachhaltigen Investments ggü. klassischen Investments, die der Nachhaltigkeit keine hohe Bedeutung beimessen.

Eine Überrendite von nachhaltigen Investments ist deshalb nur möglich, wenn nicht nachhaltige Investments eine Unterrendite erzielen, die sich dadurch ergibt, dass Unnachhaltigkeit teurer wird, statt teure Nachhaltigkeit zu subventionieren.

Out of the box gedacht

Bei der Frage, ob man in Unternehmen investieren sollte, die die eigenen Ansprüche an Nachhaltigkeit nicht erfüllen wird vielleicht auch nicht immer aus der nötigen objektiven Distanz betrachtet.

out of the box: Nur wer sich beteiligt, kann auch etwas bewirken.

Durch den Kauf einer Aktie (die an der Börse einem anderen Aktionär abgekauft wird) fließt dem Unternehmen kein Geld zu. Geld erhalten Unternehmen nur durch die Ausgabe neuer Aktien. Das Unternehmen, egal ob es nachhaltig nach der Definition des Aktionärs handelt oder nicht, hat also keinen Vorteil und keinen Nachteil dadurch, dass eine Aktie ge- und verkauft wird.

Der Aktionär erhält aber ein Mitspracherecht im Unternehmen. Dieses Mitspracherecht ist selbstverständlich minimal und ein einzelner Aktionär kann keinen nennenswerten Einfluss auf das Management des Untenehmens ausüben. Aber dennoch ist die Möglichkeit eines Aktionärs auf das Management und damit auf die Nachhaltigkeit eines Unternehmens Einfluss zu nehmen, höher als die Möglichkeit eines Nicht-Aktionärs. Dieses Mitbestimmungsrecht kann dazu genutzt werden, sich für mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen einzusetzen.

Wenn viele Aktionäre dies tun, exisitiert eine realistische Chance, dass sich die Unternehmen zum Positiven wandeln.

Aktiengesellschaften schütten (i.d.R.) einen Teil des Gewinns in Form von Dividenden an die Aktionäre aus. Es liegt am Anteilseigner sich zu überlegen, was er / sie mit diesem Geld macht. Auch die Dividenden, die von Rüstungskonzernen oder von Coca-Cola ausgeschüttet werden, können dafür eingesetzt werden, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Niemand hilft der Welt, indem er / sie sich nicht über Aktien an Unternehmen beteiligt. Durch den Kauf von Aktien, auch durch den Kauf von Unternehmensanteilen von Unternehmen, deren Geschäftspraktiken man nicht unterstützt, kann Geld erwirtschaftet werden, dass dazu eingesetzt wird, die Welt zu verbessern.

Durch den Kauf von Aktien an einer Börse wird ein Unternehmen nicht unterstützt.
Aber:

  1. Durch das Ausüben des Stimmrechts kann ein Unternehmen zu einem nachhaltigeren Handeln gedrängt werden.
  2. Durch eine sonnvolle Verwendung der ausgeschütteten Dividende, kann der Gewinn den nicht nachhaltige Unternehmen erwirtschaften dazu eingesetzt werden, die Welt zu verbessern.

Es kann also durchaus auch begründet werden, warum man sich gerade an solchen Unternehmen beteiligen sollte. Nur wer sich beteiligt, kann sich für eine positive Veränderung einsetzen.

Jede/r hat das gute Recht, sich von Unternehmen fernhalten, mit deren Handeln er / sie nicht einverstanden ist. Aber wenn alle Menschen, die gerne Gutes tun wollen, sich auch an den Unternehmen beteiligen, die nichts Gutes tun, kann das die Welt spürbar verbessern und auch die Unternehmen verändern.

Wie mache ich es?

Eins muss klar sein: Nachhaltiges Investieren, alleine reicht nicht aus. Nachhaltigkeit im Alltag hat einen deutlich größeren Einfluss auf die Welt als der Kauf von nachhaltigen Werpapieren.

Und so sehr wir uns auch anstrengen: Wir haben alle mit dem Leid der anderen viel viel mehr zu tun, als sich die allermeisten eingestehen.

  • Unsere Elektrogeräte sind vollgepumpt mit Rohstoffen, die aus Kinderarbeit, Sklaverei und Kriegsgebieten stammen.
  • Unsere Autos verpesten die Umwelt, egal ob es sich um Verbrenner oder Elektrofahrzeige handelt.
  • Unser Facebook Konsum, Google, Youtube, Netflix etc. schadet dem Klima mehr als der Kohlestrom, mit dem wir nach wie vor einen Teil unseres Energiebedarfs decken.
  • Und die Rücksetzer, die viele von uns immer wieder freudig zum Einstieg an der Börse nutzen, hängen oft auch damit zusammen, dass etwas passiert ist, was für einige zigtausend Menschen mit Leid einhergeht.

Wir sind also in diesen Kreislauf involviert. Und zwar ab dem ersten Tag unseres Lebens bis zum Letzten. Egal, ob wir Geld an der Börse anlegen, oder nicht.

Selbst die kompletten Bio-Veganer mit Fahrrad und Fairphone (ich nenne diese überspitzt formulierte Personengruppe absolut positiv belegt und mit größtem Respekt) in Europa haben einen größeren ökologischen Fußabdruck, als die Welt pro Person verkraften kann.

Das ist die Realität und ich bin der Meinung, dass jeder von uns nach bestem Wissen und Gewissen versuchen sollte dies zu verstehen, dann zu akzeptieren und dann zu ändern.

Ich persönlich nehme kein schmutziges Geld. Ich will kein Geld von Waffenhändlern. Dewegen versuche ich mich auch nicht an Waffenherstellern zu beteiligen. Es gibt Branchen, aus denen ich keine Einzelaktien wähle. Aber ich investiere dennoch in breit gestreute ETFs, wissend dass ich damit dann auch in Unternehmen investiere, die ich nicht einzeln ausgewählt hätte.

Ich versuche, das was ich als nachhaltig definiere, wirklich zu leben. Ich kaufe persönlich keine Nestlé Produkte. Kein einziges. Ich fahre wenig Auto und nehme bewusst öfter Mal das Rad. Dadurch versuche ich einen echten Beitrag zu leisten. Nestlé verdient an mir kein Geld. Aber ich würde dennoch (auch wegen meines obigen „out of the box Gedankens“), grundsätzlich in Nestlé investieren, wenn es zu meiner Anlagestrategie passt.

Fazit

Ich glaube, dass das Thame Nachhaltigkeit beim Investieren in den meisten Fällen zu wenig objektiv betrachtet und angegangen wird.

Erstens ist der Begriff der Nachhaltigkeit viel zu wenig standardisiert, um entscheiden zu können, ob die persönlichen Vorstellungen von Nachhaltigkeit in einem Fonds / ETF erfüllt werden, wenn dieser per Produktbeschreibung auf Nachhaltigkeit setzt.

Zweitens zwingt die Renditeerwartung der Anleger Fondsmanager und Indexmacher oft dazu, eine eher lasche Definition von Nachhaltigkeit anzuwenden.

Drittens muss sich Nachhaltigkeit zwingend bei allen Unternehmen durch Druck von außen oder eigenen Antrieb durchsetzen. Nur das wird dazu führen, dass Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit langfristig miteinander vereinbar sind und dass Nachhaltigkeit sogar zur Bedingung für Wirtschaftlichkeit führt.

Viertens ist die Beteiligung an einem Unternehmen auch mit der (theoretischen) Möglichkeit der Einflussnahme verbunden. Wenn viele Anleger Wert auf Nachhaltigkeit legen und sich an nach der eigenen Definition unnachhaltigen Unternehmen beteiligen, können diese Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit bewegt werden. Ohne Beteiligung steht auch die Möglichkeit zur Einflussnahmen nicht zur Verfügung.

Ich freue mich auf eure Kommentare, Fragen, Meinungen. Gerne hier als Kommentar!

Viele Grüße,
David

PS: Tretet auch meiner Facebookgruppe für die langfristige Geldanlage mit Aktien, Immobilien, Cryptos etc. bei. Wir diskutieren dort alle Fragen zum Kapitalmarkt kontrovers, aber sachlich und fair.

Disclaimer: Meine Beiträge spiegeln meine persönliche Meinung und Einschätzung wider. Ich gebe keinerlei Handlungsempfehlung ab und meine Beiträge sind keinesfalls als Aufforderung zum Kaufen oder Verkaufen irgendeines Wertpapieres zu verstehen!

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